GESCHICHTE IN GESCHICHTEN

Anne Rockenfeller und Hans Dreher im Gespräch mit Ralph Köhnen.

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RK: Warum tun Menschen das, sich auf Bühnen zeigen, wildes Zeug spielen, Sprüche deklamieren?

HD: Dafür gibt es wahrscheinlich viele Gründe, aber der möglicherweise universellste ist: Um jener uralten Tradition nachzukommen, als Mensch anderen Menschen Geschichten zu erzählen, um sie zu unterhalten und zu bilden.

RK: Also Mitteilung zu machen, Erzählen mit Gestik – wir kommen darauf zurück. Wann hast du angefangen, dich dafür zu interessieren?

HD: Die Liebe zum Theater hat sowohl Anne als auch mich in den Teenager-Jahren erwischt, dank einiger sehr motivierter Lehrerinnen und Lehrer, die uns immer wieder ins Theater geführt haben - oder es uns ermöglicht haben, selbst Theater zu spielen.

RK: Und wann kam die Idee, dies selbst zu tun – eine Rolle zu spielen? Oder selbst Stücke zu inszenieren?

HD: Wenn man nicht aus einer Theaterfamilie kommt – denn das ist weder bei Anne noch bei mir der Fall - , steckt man sich vermutlich meistens zuerst mit dem Schauspieler-Virus an. Es ist ein so exponierter Beruf, und man hat außerdem nicht so viel Ahnung, welche weiteren, sehr spannenden Berufe es im Theater gibt. Ich hatte das große Glück, mein Studium in München teils als Statist im Residenztheater finanzieren zu können. Für das Studium selbst war das ein wenig nachteilig, denn ich habe ganze Semester an diese Aufgabe „verloren“. Als ich nach und nach merkte, dass ich weder das Talent noch die psychische Beschaffenheit hatte, den Schauspielerberuf zu ergreifen, blieb meine Liebe zum Theater unvermindert. Ich merkte allerdings erst nach einiger Zeit, dass es der Regisseurs-Beruf ist, der mich stattdessen besonders anzieht.

RK: Hans, kannst du dich an eine bestimmte Inszenierung erinnern, die für dich wegweisend gewesen ist?

HD: Die erste Arbeit, die ich jemals von Andreas Kriegenburg sah, war BERNARDA ALBAS HAUS von Lorca 1997. Diese schlagartigen Wechsel zwischen Komik und Tragik! Dieser ketzerische Umgang mit Text, Figur und Handlung. Ich kannte das Stück nicht, als ich die Vorstellung sah. Ich kann mich noch erinnern, wie enttäuscht ich war, als ich danach das Reclamheft gekauft habe und feststellen musste, dass das Original ganz anders war. Inzwischen fasziniert mich übrigens auch der vermeintlich „brave“ Originaltext.

RK: Hans, was würdest du als deinen ersten Theatererfolg bezeichnen?

HD: Erfreulicherweise gibt es sowohl eine PRT-Antwort als auch eine Nicht-PRT-Antwort auf diese Frage. 2006 kam es in der Studiobühne des Schauspielhauses (damals hieß sie noch „Theater unter Tage“) zu meiner ersten Inszenierung, TRAUM EINES LÄCHERLICHEN MENSCHEN von Dostojewski mit Michael Lippold. Diese lief – natürlich immer wieder mit Unterbrechungen – bis Mai dieses Jahres im Rottstr 5 Theater. Dass meine allererste Regiearbeit 19 Jahre überdauern würde, betrachte ich als großen Erfolg.
Die erste Eigenproduktion, die wir fürs PRT schufen, DIE FRAU, DIE GEGEN TÜREN RANNTE, hatte im Dezember 2018 Premiere. Im Sommer 2019 wurde sie auf den Privattheatertagen (dieses altehrwürdige Festival fand bis vor zwei Jahren jährlich in Hamburg statt – nun wird es aufgrund nicht gesicherter Finanzierung nicht fortgesetzt) mit dem Monica-Bleibtreu-Preis prämiert.

RK: Wenn du kein Stück für die Bühne inszeniert hättest, gäbe es einen Lieblingsfilm, bei dem du gerne Regisseur gewesen wärst?

In so vielen meiner Lieblingsfilmen hat die Regie auch das Drehbuch geschrieben! Auf ein Drehbuch wie PARASITE oder DER WEISSE HAI wäre ich nicht gekommen. Filmregie verlangt einen so anderen „skill set“ als Theaterregie. Außerdem ist die Welt inzwischen von Bewegtbildern übersättigt. Da würde es mich – zumindest in der Theorie –  mehr reizen, die Regie bei einem gut erzählten Computerspiel zu übernehmen. Die Interaktivität von Computerspielen hat mich schon immer interessiert.

RK: Heiner Müller hat einmal behauptet, Diktaturen wären besser fürs Theaterleben, zumindest für die Produktion von Tragödien, als Demokratien (die mehr für Komödien taugen würden). Ist die Zeit für solche lockeren Sprüche vorbei angesichts der Zunahme der diktatorischen oder gewaltaffinen Regierungen?

HD: Anne und ich sind übrigens beide immer eher für einen lockeren Spruch als dagegen! Müllers Behauptung wirkt auch deshalb bei mir, weil ich es als Teil meines Regie-Stils betrachte, dass tragische Momente überraschend ins Komische kippen und umgekehrt. Es ist eher Sinnbild für den Bedeutungsverlust des Theaters in der Gesellschaft, dass sich diktatorische Kräfte heutzutage in den seltensten Fällen die Mühe machen, das Theater zu zensieren oder sonstwie einzuschränken. Es scheint einfach als Massen-Meinungs- oder Stimmungsmacher nicht mehr ausreichend relevant zu sein. Da bildet es eine fast schon sympathische Ausnahme, dass sich Trump zum Aufsichtsratsvorsitz des Kennedy Center in Washington DC hat wählen lassen, um bei der Programmgestaltung mitmischen zu können. Sein Schachzug lässt sich immerhin so interpretieren, als hätte Trump Angst vor der politischen Macht der darstellenden Künste.

RK: Das wäre doch fast ein menschlicher Zug… Müller hat das ja ganz ähnlich gesehen – ein Land, in dem Zensur herrscht, nehme wenigstens die Literatur oder das Theater ernst. Aber etwas harmloser gefragt: Kann Theater Probleme lösen, etwa in dem Optimismus Brechts, damit ein Laboratorium sozialer Phantasie zu schaffen, die Grundlinien der sozialen Architektur bloßzustellen und sie neu denkbar werden zu lassen?

HD: Grundsätzlich macht es mich immer nervös, wenn das Theater programmatisch als „Labor“ bezeichnet oder zweckentfremdet wird. Und ich habe zudem eine sehr irrationale Abneigung gegen Brechts Stücke.

RK: Die Postdramatik hat seit dreißig Jahren damit zu tun, die festen Einheiten von Figuren, Handlungen, aber auch Satzgefügen aufzulösen, um stattdessen Präsenz und Intensität durch Bühnenmittel zu schaffen. Haben sich Einflüsse in deinen Arbeiten niedergeschlagen?

HD: Dem bereits von mir erwähnten Andreas Kriegenburg sagt man nach, einer der prägenden Regisseure der Postdramatik zu sein. Ich suche immer öfter mit den Beteiligten nach Stellen, in denen man aus dem dramatisch-psychologischen Gefüge aussteigen kann, um das Publikum direkt zu konfrontieren: Das wäre wohl so ein „klassisch“ postdramatisches Stilmittel. Diese Augenblicke suche ich, um eine Überhöhung zu schaffen, eine Stimmung zu kommentieren oder sogar eine Erklärung zu liefern. Schauspielerin Laura Thomas etwa musste das in drei meiner Produktionen sehr offensiv mitmachen: in FAUST, AMPHITRYON und LAIOS.

RK: Kann Theater, wie du es dir vorstellst, Platz für Wahnsinn bieten? Ich denke das von Antonin Artaud her – Theater müsse Traumniederschläge liefern, Störungen des Ablaufs, „in denen sich sein Hang zum Verbrechen, seine erotischen Besessenheiten, seine Wildheit, seine Chimären, sein utopischer Sinn für die Dinge und das Leben, Luft machen.“

HD: Theater muss definitiv auch Raum für Wahnsinn bieten, wie es alle menschlichen Gefühle und Regungen ernst nehmen und erzählbar machen muss. Wie würde etwa ein KÖNIG LEAR aussehen, in dem man den Wahnsinn nicht glaubhaft zeigt? Ob ich wiederum an den Artaud’schen Wahnsinn glaube – oder ihm vertraue? Da bin ich mir nicht so sicher. Vielleicht kann ich die Frage wie folgt ein wenig umschiffen: Theater ist für mich eine Unterhaltungskunst, und eine Produktion darf, egal wie inhaltlich, thematisch oder ästhetisch herausfordernd, die Aufgabe der Unterhaltsamkeit nie aus den Augen verlieren.

RK: Von Erwin Piscator stammt der Satz: „Theater ist eine Waffe.“ Ist das so – und wenn ja: Gegen was richtet sich diese Waffe heute? Und wer sollte sich getroffen fühlen?

HD: Eine Waffe? Wenn, dann gegen bedenklich verkürzte Aufmerksamkeitsspannen, gegen intellektuelle und emotionale Abstumpfung. Gegen das vereinsamende Wesen des Gegenwartsmedienkonsums. Es kommt mir allerdings so vor, dass ich damit aber eher ein Gegenmittel, eine Medizin, beschreibe als eine Waffe.

RK: Kann man heute immer noch Max Reinhardt zitieren? Zum Beispiel so: „Schauspielkunst ist der Versuch, das Leben besser zu leben als das Leben selbst.“ Gibt es Inszenierungen, in denen du das Gefühl hattest, dem Leben auf der Bühne etwas voraus zu haben?

HD: Dadurch, dass man – im Gegensatz zum Leben – szenisches Geschehen immer für ein Publikum mitdenken möchte, hat man auf der Bühne eigentlich immer dem Leben etwas voraus. Aber vielleicht stimmt das inzwischen nicht mehr ganz: Hört oder liest man heutzutage die haarsträubenden Äußerungen aus den Kreisen der Politik oder des  Unternehmertums, denkt man sich unweigerlich: „Hätten wir das auf die Bühne gebracht, würde es jeder für vollkommen übertrieben und unrealistisch halten!“.

RK: Hast du Lieblingssätze, Maximen von Theaterleuten, die du unterschreiben könntest?

HD: Ich hatte zu Beginn meiner Laufbahn, das Glück, eine Produktion in der Regie von Franz Xaver Kroetz zu betreuen. Er hatte zwei Weisheiten, die ich immer noch für sehr relevant halte:

„Theater muss immer ein bisschen anstrengend sein.“

„Wenn die Gefühle zu groß werden, kommt die Musik.“

Von einen meiner Lieblings-Schauspieler – nennen wir ihn Peter A. – hörte ich diesen großartigen Spruch zum ersten Mal:

„Sei freundlich auf dem Weg nach oben. Auf dem Weg nach unten siehst du sie alle wieder.“

RK: Ihr habt eingangs davon gesprochen, dass es die großen Erzählungen seien, um die ihr euch kümmern wolltet fürs Theater. Ist so etwas noch machbar, durchsetzbar, würdet ihr diese Überzeugung weiterhin vertreten?

HD: Ohne weiteres ist es jedenfalls nicht mehr machbar. Ich hätte zum Beispiel nicht gedacht, dass Stoffe wie Kleists AMPHITRYON oder – apropos Heiner Müller – PHILOKTET es inzwischen so schwer haben würden! Man kann einfach nicht mehr davon ausgehen, dass jede noch so große, noch so bekannte Geschichte automatisch ihr Publikum findet. Seit Corona ist es finanziell für uns einfach zu risikoreich, besetzungsintensive Arbeiten zu realisieren. Natürlich muss nicht jede große Erzählung auch mit großer Personalstärke erzählt werden – sehe unser MOBY DICK mit vier Beteiligten, DER TRAFIKANT mit drei oder DRACULA mit zwei. Doch manche Stoffe, gerade dedizierte Theaterstücke und nicht unbedingt Romanbearbeitungen, wären für uns nur dann künstlerisch sinnvoll gewesen, wenn man sie in voller Größe hätte besetzen können. Ich denke da konkret an Lieblingsstoffe wie KÖNIG LEAR, DREI SCHWESTERN, BERNARDA ALBAS HAUS oder PHÄDRA. Doch wäre das Risiko für uns nicht zu tragen gewesen, hätten wir diese Stoffe in ihren weitestgehenden Original-Besetzungsgrößen produziert.

RK: Erzählungen können also die großen Mythen, die Tragödienhandlungen sein – du hast aber auch schon im engeren Sinne Prosatexte benannt. Als man um das Millennium herum verstärkt dazu überging, Prosavorlagen für die Bühne umzuarbeiten, hat man das als kurze Modewelle abgetan. Mittlerweile ist das aber ein festes Genre, das ihr ja auch im Repertoire hattet. Worin liegt für euch der Reiz dieser Formen? Und ist es nicht reichlich Arbeit, den Moby Dick auf zwei Stunden einzurichten?

HD: An der Fassung von MOBY DICK saß ich buchstäblich Jahre. Dort, wie auch in DRACULA, habe ich das vom Roman vorgegebene Figurengefüge vereinfacht und abstrahiert. Es gibt etwa keinen Starbuck, keinen Ismael, sondern die Archetypen „Steuermann“ oder „Rekrut“. Romane zu adaptieren hat für mich zwei besonders reizvolle Aspekte: Ich liebe es, eine eigene Fassung aus der Vorlage zu erarbeiten und liebe vielleicht noch mehr, auf der Bühne die Übergänge zwischen Erzählsituationen und dramatischen Szenen zu gestalten. Exemplarisch fällt mir die Stelle ein, in der Helge Salnikau als junger Franz in DER TRAFIKANT von seiner Angebeteten Anezka, gespielt von Sina Ebell, versetzt wird und diese gespielte Niedergeschlagenheit so sehr mit in seine nächste Erzählpassage nimmt – und plötzlich entsteht sogar noch eine dritte Ebene!, – dass Matthias Hecht ihn „live“ tröstet.

RK: Die Pandemie mit all ihren (wenn auch nötigen) Einschränkungen – welche Probleme haben sich daraus ergeben?

HD: Im Hier-und-Jetzt der Pandemie stellten wir fest, dass uns buchstäblich alles genommen wurde, was man eigentlich braucht, um Theater im klassischen Sinne zu machen. Jetzt, einige Jahre später, weiß man, dass der Schaden langfristig und nahezu irreparabel ist. Das Theater hat viel Bestandspublikum verloren. Mehrere Generationen jüngerer Menschen wurden seitdem einfach nicht mehr ans Theater herangeführt. Übrigens auf beiden Seiten des Vorhangs!

RK: Anne, hier war doch auch besonders deine administrative Arbeit wichtig.

AR: Das PRT ist zwar im Verhältnis zu anderen sog. freien Kultureinrichtungen in Bochum gut gefördert, doch es ist immer Schwerstarbeit, das Budget eines kleinen Theaters zu verwalten. Seit Corona hat es sich potenziert. Uns war es extrem wichtig, keine zusätzlichen Corona-Sonderförderungen zu beanspruchen. Diese Mittel waren begrenzt und sollten unserer Meinung nach Einrichtungen und Soloselbstständigen zukommen, die stärker darauf angewiesen waren als wir, das feste Team des PRT. Doch es ist schlicht Tatsache, dass in der Nach-Corona-Zeit das Geld weit weniger locker sitzt als davor.

RK: Gibt es nicht auch ein paar positive Mitnahmen aus der Lockdown-Zeit?

AR: Mehrere Sachen waren uns im Lockdown besonders wichtig: Allen „da draußen“ zu beweisen, dass es uns noch gibt, dass wir eine Daseinsberechtigung haben und möglichst vielen Freischaffenden eine Verdienstmöglichkeit einzuräumen. Wir waren immerhin eines der ersten Theater überhaupt, das eine Produktion – DIE HAUSHERREN – als Live-Videokonferenz aufgeführt hat. Die Regisseurin, Damira Schumacher, hat uns diesen Vorschlag blitzschnell und mit großer Überzeugungskraft unterbreitet. Dieses Unternehmen war technisch nur dadurch möglich, dass unsere Veranstaltungstechniker bereit waren, sich das Handwerk des Livestreamens anzueignen. Wir konnten also auch im Internet handwerklich und ästhetisch mit manchem Stadttheater konkurrieren.

RK: Ihr seid - als Ehepaar - als Doppelspitze angetreten. Ist das nicht auch konfliktträchtig? Sieben Jahre Theaterleitung, das klingt nach Magie, nach DER ZAUBERBERG oder nach Thriller, aber auch nach verflixtem siebtem Jahr… Wie lässt sich damit umgehen?

AR: Die Zahl sieben ist ohnehin für uns eine besondere. Nach dem verflixten siebten Jahr unserer Beziehung haben wir geheiratet. Unser verflixtes siebtes Ehejahr haben wir im PRT bestanden. Somit ist es folgerichtig, nach dem siebten Jahr das PRT wieder abzugeben. Man soll ja auch aufhören, wenn’s am schönsten ist. Dass wir gemeinsam so viel erreichen konnten, hat natürlich damit zu tun, dass wir uns privat lieben und schätzen, aber nicht unkritisch miteinander umgehen. Dienstlich vertrauen wir den Kompetenzen des anderen zu 100%. Aber auch hier sind wir - im besten Sinne - gegenseitig unser jeweils strengster Kritiker. Da wir privat so genau wissen, wie der andere tickt, reicht dienstlich nur ein kurzer Blick, um zu verstehen, wie der andere denkt.

RK: Welche kaufmännischen Entscheidungen habt ihr zusammen getroffen?

AR: Diese Frage lässt sich schnell beantworten: Wir haben buchstäblich jede einzelne Entscheidung – ob künstlerisch, kaufmännisch oder sonstiges – das PRT betreffend gemeinsam getroffen.

RK: Welche Rolle spielte das Team hinter euch, mit euch?

HD: Um schnell zu erläutern: Alle Künstler:innen, mit denen wir arbeiten, sind Solo-Selbstständige. Das PRT hat kein eigenes Ensemble. Fest angestellt ist nur das Theaterteam; das sind, inklusive uns, sieben Personen. An einem kleinen Theater mit einem kleinen Theaterteam muss jedes Teammitglied große Verantwortung in einer Vielzahl von Aufgabenbereichen tragen. Als Beispiel: Unsere beiden Veranstaltungstechniker, Joachim Kiel und Dennis Philipp, wuppen den gesamten Bühnenbetrieb nur mithilfe unserer Auszubildenden, Slata Didhsun und zwei weiteren Aushilfen. Darin ist also nicht nur Aufbau, Durchführung und Abbau unserer Vorstellungen gemeint, sondern auch die Betreuung von Neuproduktionen. Jeder Bühnenbildentwurf muss für die PRT-Bühne tauglich gemacht werden, hinzu kommt die künstlerische Arbeit in Form des Lichtdesigns. In Produktionen wie DER REICHSBÜRGER, MOBY DICK, DER PROZESS oder DRACULA, konnte Dennis etwa noch weitere künstlerische Aufgaben übernehmen: Komposition, Sounddesign und Animation. Und Slata hat eigens für die Animationen bezaubernde Zeichnungen angefertigt! Unsere Produktions- und Regieassistentin, Kerstin Sommer, hat bei mehreren Produktionen, darunter HEUTE ABEND: LOLA BLAU Regie geführt. Was für ein großes Geschenk, so talentierte Menschen im Team zu haben! Wir haben außerdem ein sehr charismatisches junges Gastro-Team und ein paar absolut zuverlässige und fleißige alte Hasen, die nachts oder früh morgens nach unseren Vorstellungen die Bühne und das Theater reinigen.

RK: Durch öffentliche Fördermittel wurden ja auch die unmittelbaren Finanzlücken gestopft, die sich durch die zwischenzeitliche Schließung des Theaters aufgetan haben. Es wurden ja auch Anschaffungen verschiedenster Art benötigt.

AR: Im PRT gab es einen regelrechten Investitionsstau: Die Bestuhlung war so in die Jahre gekommen, dass gefühlt bei jeder Vorstellung eine Rückenlehne durchgebrochen ist. Viele werden sich erinnern, dass die Zuschauertribüne auf den oberen Etagen spürbar gewackelt hat – als wäre man auf See. Unser Lichtpult wurde mit Floppy-Disketten betrieben und unsere Scheinwerfer waren bis auf ein paar Ausnahmen mehrere Jahrzehnte alt. Dank eines gezielten Infrastrukturförderprogramms des Landes und mithilfe einiger privater Initiativen, war es uns möglich, diese Baustellen anzugehen. Inzwischen geht man über unseren gepflasterten, barrierefreien Vorplatz und setzt sich auf einen sehr bequemen Stuhl, der auf einer stabilen Tribüne steht, während man staunt, was unsere Beleuchtung – neben unseren Beteiligten – so alles kann.  Zu Corona-Zeiten war es unser großes Glück, dass die ‚normalen‘ städtischen und Landesfördermittel noch flossen. Es gab eine städtische Sonderförderung, mit der wir – siehe oben – das Equipment für Livestreams anschaffen konnten: Videomischpult, Kameras und Mikrofone.  Die Stadt Bochum hat 2021 zusammen mit der Kulturstiftung des Bundes 2021 einen Open-Air-Sommer ins Leben gerufen, an dem auch das PRT beteiligt war.

RK: Eintrittspreise, die die Kosten einer Produktion wirklich decken würden, würde wohl kaum jemand bezahlen. Wie funktioniert die Finanzierung des PRT?

AR: Wir sind als „überwiegend öffentlich geförderte Einrichtung“ eingestuft. Ohne diese Fördermittel wäre es einem Theater in unserer Größenordnung nicht im Geringsten möglich, kostendeckend zu arbeiten.

RK: Ist das ein Zukunftsmodell?

HD: Es ist vielleicht das einzige Zukunftsmodell! Wenn es politischer Wille ist, das Kulturerbe „Theater“ und alles, was dazugehört, für Staat/Land/Stadt zu erhalten, dann setzt es eine entsprechende Förder-Infrastruktur voraus.

RK: Was haltet ihr von der Praxis einiger Theater, ihre Räume zu Clubs, locations für Events, Performance-Plätze umzufunktionieren?

HD: Natürlich verstehen wir, aus welchen Gründen die Definition von „Theaterprogramm“ so erweitert – aufgeweicht? – wird. Der Markt, die Nachfrage, für Sprechtheater, ist in den letzten Jahren spürbar kleiner geworden. Die meisten Theater – egal wie groß, egal wie klein – erweitern ihr Programm inzwischen um Poetry Slams, Konzerte, Drag Shows, Clubbing, und vieles mehr. Ich glaube, Anne und ich hängen einfach an unserer eigenen, „altmodischen“ oder meinetwegen „musealen“ Theaterauffassung und finden es sehr bedauerlich, dass die Erfahrung zeigt, dass man mit „nur Theater“ nicht alle Menschen erreicht.

RK: Welche Bedeutung hatten Gastspiele unter eurer Leitung?

HD: Dadurch, dass „unsere“ Zeit mit einer Interimsspielzeit begonnen hat, waren wir gerade in der Anfangszeit sehr auf Gastspiele angewiesen und hatten ein paar unglaublich tolle Gastspielproduktionen im Spieplan. Ich denke da an erste Vorstellung überhaupt im PRT, der Liederabend REISE REISER oder die starken Produktionen aus dem Theater im Bauturm Köln, die bei uns zu Gast waren, DON QUICHOTTE oder KLEINER MANN, WAS NUN? Gastspiele haben allerdings bei uns einen schweren Stand, da sie meistens nur einmal gezeigt werden und der wichtige Faktor „Mundpropaganda“ somit nicht zum Zuge kommt.

RK: Das Schauspielhaus hatte einmal eine Allianz mit dem VfL Bochum geschlossen, zu Leander Haußmanns Zeiten. Ist Fußball eine Konkurrenz für euch?

HD: Ich glaube, es gab seit Haußmann keine einzige Schauspielhaus-Intendanz, die nicht irgendeine – meist fadenscheinige – VfL-Partnerschaft ins Leben rief. Fußball ist vermutlich weit weniger eine Konkurrenz für uns als das Internet in seinen vielen Formen: Streaming, Instagram, Tik-Tok.

RK: Sind Displays, Bildschirme und alles, was über sie läuft, eure Gegner?

HD: Ja. Es ist schlimm genug, selbst auf die Dienste moralisch höchst fragwürdiger Techkonzerne angewiesen zu sein, um Veranstaltungen zu bewerben („weil alle es tun“). Es ist nicht einfach, gegen so viel „convenience“ und kostengünstigen oder gar ganz kostenlosen „content“ anzukommen. Streamingdienste, YouTube, Spielkonsolen, usw., machen es so einfach, so verlockend, zu Hause zu bleiben, in der Komfortzone zu bleiben. Und trotzdem muss ich für die gelegentliche Videoeinspielung auf der Bühne eine Lanze brechen, die durchaus eine ästhetische oder erzählerische Bereicherung sein kann.

RK: Welche besonderen Qualitäten hat das Theater auf seiner Seite?

HD: Keine Kunstform vermag so sehr zu berühren wie das Theater in Vollendung. Ich bin ein absoluter Anhänger der Macht der Katharsis, des „Jammerns und Schauderns“ bzw. von Lessings „Mitleid und Furcht“. Sieht man, wie Mitglieder unseres Publikums mit feuchten Augen aus einer Vorstellung von FAUST, ALL DAS SCHÖNE oder DER TRAFIKANT kommen, weiß man, was das Theater zu leisten vermag. Das macht Mut. Ich glaube übrigens auch an den Theaterbesuch als Konzentrations- und Aufmerksamkeitstraining. Dieser Aspekt wird vermutlich immer wichtiger in einer Welt, in der so viele Dinge mit perfiden Mitteln um Aufmerksamkeit buhlen.

RK: Welches sind diejenigen Schauspieler, die für euch wichtig geworden sind? Woran entscheidet sich so etwas?

HD: Wir hatten das große Glück, über die Spanne von sieben Jahre mit einigen Künstlerpersönlichkeiten regelmäßig über mehrere Produktionen hinweg arbeiten zu dürfen. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sie sich in dieser Zeit handwerklich entwickelt haben. Würden wir einen Namen nennen, müssten wir sie alle nennen!

RK: Was sind eure weiteren Pläne nach Übergabe des PRT?

HD: Wir bleiben der Branche erhalten, treten allerdings zunächst aus der ersten Reihe zurück. Wir werden auch Bochum verlassen, da Anne bereits an einem anderen Theater in Münster angeheuert hat. Ich hingegen werde mich – nicht ganz ohne Respekt – als freischaffender Regisseur versuchen.

RK: Hans, Gibt es Theatertexte, die du liebst, aber nie aufgeführt hast – und nun für die Zukunft planst?

HD: Ich habe eine „guilty pleasure“ in Form von Schillers KABALE UND LIEBE und auch eine, wie ich finde, gute Idee dazu. Ich würde mich sehr freuen, diese irgendwann realisieren zu können.

RK: Was wünschst ihr euch, dass die Menschen beim Verlassen „eures“ Hauses mitnehmen?

HD: Es ist ironisch: Theater ist eine Kunstform, die ausschließlich im Hier-und-Jetzt existiert. Trotzdem wünscht man sich stets, dass eine Inszenierung noch lange in der Erinnerung des Publikums weiterlebt. Das wünschen wir uns vielleicht im Augenblick umso mehr, da unsere Produktionen nun nicht mehr im PRT zu sehen sind!